In Mexiko-Stadt läuft derzeit ein Theaterstück namens "Memoria" (Erinnerung) im Teatro Galeón. Am vergangenen Wochenende hatte ich bereits eine Kritik voller Lobeshymnen über das Stück in der Zeitung gelesen und wollte mir das unbedingt anschauen. Zufälligerweise schrieb mir einen Tag später Dagia eine Nachricht, ob ich mir nicht eben dieses Stück mit ihr ansehen wolle, da sie Freikarten habe. Dagia arbeitet in einem Kinderprojekt einer jüdischen Hilfsorganisation und sollte sich daher das Stück, dass im Nazi-Deutschland zu Beginn des Krieges spielt, ansehen. Wir verabredeten uns also für Mittwoch abend halb acht.
Wie gewohnt zehn Minuten zu spät war ich am Mittwoch schliesslich am Treffpunkt und hielt mit wachsender Sorge nach Dagia Ausschau. Wir wollten uns vorm Auditorio Nacional, einem der grössten Veranstaltungshäuser Mexiko-Stadts, treffen. Doch nirgendwo auf den weitläufigen Treppen zum Auditorio war etwas von Dagia zu sehen. Irgendwann kam mir das recht eigenartig vor und, da ich zudem das Gefühl hatte, mein Handy nicht mit zu haben (jedenfalls konnte ich es in den mysteríösen Weiten meiner Handtasche nicht finden), ging ich kurzerhand in die Galerie des Auditorios, um dort nach Dagia zu schauen. Den Türstehern erklärte ich recht genervt, dass ich da nur kurz nach einer Freundin schauen wolle, und drückte mich um den Eintritt. In der Galerie hatten sich eine Menge aufgeregter Fotografen und Presseleute sowie ebenso viele Pseudo-Rocker-Stylo-Typen, die sich gegenseitig in ihrem betont schäbigen und nachlässigen Grunge-Stil übertrumpften. Dagia war wiederum nirgendwo zu sehen. Da ich sie auch nicht anrufen konnte dank abwesendem Handy, entschloss ich mich, mir die Ausstellung einfach mal anzuschauen, anstatt gleich verbiestert nach Hause zu gehen. Ich mischte mich unter das hippe Publikum und tat unglaublich interessiert. Eigentlich finde ich Fotografieausstellungen nämlich nicht so spannend. Im Gegensatz zur Bildenden Kunst weiss ich nie so recht, wo durch sich die Arbeiten eigentlich auszeichnen und kann ausserdem keinen persönlichen Bezug zu den Künstlern herstellen, da ich die Fotografen sowieso nicht kenne. In diesem Fall war das aber ganz anschaulich gemacht. Bob Gruen, der New Yorker Fotograf, dem die gesamte Ausstellung gewidmet war, war selbst anwesend und gab an jeder Ecke kleine Anekdoten zum besten. Ausserdem gab es riesige Doku-Tafeln, die seine Arbeiten und deren Besonderheiten erklärten. Bob Gruen war nämlich über Jahrzehnte hinweg Dokumentator der wachsenden und sich etablierenden Rockbewegung. Durch seinme teils sehr engen freundschaftlichen Kontakte zu vielen Rockstars gelangen ihm einzigartige ungestellte und persönliche Aufnahmen. Unter den Stars waren Grössen wie Elton John, The Clash, Debbie Harry, Led Zeppelin, John Lennon oder Marvin Gaye. Und die Fotografien waren echt brillant. So zeigte ein Foto Elton John (wahrscheinlich auf der Höhe seines ezessiven Kokain-Genusses) an seinem Flügel, wie er vor lauter Begeisterung beim Singen waagerecht nach hinten hochsprang und mit den Beinen über Kopfhöhe weiter ekstatisch auf die Klaviatur einspielte. Oder dieses coole Foto von Led Zeppelin, mit wehenden Haaren und offenen Hemden vorm eigens nach ihnen benannten Flieger (siehe Fotos). Oder John Lennon und Yoko Ono bei einer Privatfeier im Gespräch versunken, mit einem innigen Blick, wie ihn kein Künstler nachbilden könnte. Diese Fotographien waren wirklich sehenswert. Mindestens ebenso hervorragend waren aber die Häppchen und Canapes, die die befrackten Kellner auf ihren Tabletts umhertrugen. Ich habe bestimmt 20 davon gegessen. Kleine Cracker mit Krabbencocktail, mit delikaten Cremes gefüllte Blätterteigtäschchen, und andere ausgewählte Kinkerlitzchen und als Dessert winzig kleine Küchlein mit Mousse-au-chocolate- oder Honig-Nuss-Geschmack. Ich war entzückt. Dazu gabs Wein und Sekt en masse und wann immer man Nachschub verlangte, lief gerade wieder ein Kellner vorbei. Ich war also gut satt und leicht beschwipst, als es schliesslich in meiner Handtasche klingelte und ich merkte, dass ich mein Handy ja doch mitgenommen hatte. Es war Dagia, die selbst zu spät gekommen war und nun doch noch schnell ins Theater wollte. Wir trafen uns am Eingang der Galerie und flitzten zusammen zum Teatro Galeón um die Ecke. Das Stück hatte selbstverständlich schon angefangen. Zum Glück gibt es in Mexiko keine "Nach Beginn kein Einlass"-Regelungen und wir wurden vom Portier leise zum Platz geleitet (er lief mit einer Taschenlampe, mit welcher er jede einzelne Stufe beleuchtete, vorne weg - das ist doch nett). Komischerweise mussten wir schon wieder keinen Eintritt zahlen, obwohl in der Zeitung etwas von 10 Euro (umgerechnet) gestanden hatte. Das Stück war wirklich beeindruckend, mit wechselnden kleinen Bühnen in der Mitte vom umsitztenden Publikum oder sogar mittendrin. Es beschrieb aus verschiedenen Blickwinkeln den Umgang des deutschen Volkes mit der Politik des NS-Regimes und die unterschiedliche Wahrnehmung der Verfolgung der Juden. Das Bühnenbild war gleichermassen schlicht wie ergreifend. Die nett eingerichteten Wohnzimmerkulissen in der Mitte des Saals thronten auf Gleisabschnitten, die alle zu einem am Bühnenrand angedeuteten Gefängniskomplex führten. Hinter dessen Stacheldrahtzaun gingen - während sich im Zentrum die eigentlichen Szenen der deutschen Familien abspielten - fortwährend geisterhafte, kahlgeschorene Gestalten umher. Die Atmosphäre wurde immer beklemmender. Auch wenn ich nicht alles genau verstand, da sich die Schauspieler in Rage redeten und durcheinander riefen, mussten die Einzelschicksale jedem verständlich werden. Von dem leichtgläubigen und beeinflussbaren Arbeiterjungen, der sich unbedingt der SS anschliessen wollte, weil er sich davon eine glazvolle Karriere versprach. Über das Ehepaar, dass die Politik der NSDAP ablehnt und doch seine Heimat nicht verlassen will. Bis hin zu der jüdischen Gattin, die vergeblich versucht, ihren deutschen Ehemann von der ihr drohenden Gefahr zu überzeugen und schliesslich alleine geht, den Koffer in der Hand, und ihn ungläubig zurücklässt. Gleichermassen erschüttert und begeistert von dieser lebendigen Darstellung des Lebens in der NS-Zeit verliessen wir das Theater. Müde, satt und sehr guter Dinge ging ich nach Hause.
domingo, 25 de mayo de 2008
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